Praxis für Logopädie · Sprachtherapie · Behandlung · Beratung bei Sprach-, Sprech-, Stimm-, Hör- & Schluckstörungen · Fütter- & Orofacialstörung Anne Büttner Anne Büttner
Diagnostik (Behandlung & Beratung bei Sprach-, Sprech-, Stimm-, Hör-, Schluck-, Fütter- & Orofacialstörungen)

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Theoretischer Hintergrund des Personzentrierten Ansatzes

"Es ist im Leben sehr selten, dass uns jemand zuhört und wirklich versteht, ohne gleich zu urteilen. Dies ist eine sehr eindringliche Erfahrung." Rogers, Ohio, 80er Jahre


Das Bild vom Menschen im Personzentrierten Ansatz

Rogers geht von der These aus, dass alles Leben sich erhalten will und zu seiner Entfaltung strebt. Leben trägt immer das Potential von Wachstum und Entwicklung in sich. Diese Tendenz bezeichnet Rogers als Aktualisierungstendenz. Sie ist die Triebkraft alles Lebendigen. Die wesentliche fördernde Bedingung, die die Aktualisierungstendenz positiv beeinflusst und fördert, ist die therapeutische Grundeinstellung, dieser Fähigkeit des menschlichen Organismus grundlegend zu vertrauen.

Rogers sah zum Ende seines Lebens Beziehungen des Personzentrierten Ansatzes zur modernen Physik. Die Ergebnisse der Chaosforschung und modernen Systemtheorie brachten das bislang mechanistisch geprägte westliche Weltbild ins Wanken. Idealvorstellungen der Steuerbarkeit, Machbarkeit und Vorhersagbarkeit wurden von vielen Wissenschaftlern zunehmend in Frage gestellt. Auch Rogers fand Analogien zu menschlichen Entwicklungsprozessen. Menschliche Entwicklungsprozesse können als Prozesse der Selbstorganisation betrachtet werden: Veränderung geschieht immer von innen heraus, Menschen sind sich selbst entwickelnde Systeme.

Zentrales Merkmal des Personzentrierten Ansatzes ist das Vertrauen in eine jedem Menschen innewohnende Kraft, konstruktive Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. Ziel des Personzentrierten Ansatzes ist es daher, Bedingungen zu schaffen, die diese Kraft freisetzen. Die Aktualisierungstendenz ist es, die letztlich positive Veränderungen, Wachstum und Problemlösung ermöglicht. Nach Rogers jahrzehntelangem Forschen und seinen Forschungsergebnissen bringt jeder Hilfesuchende nicht nur das Problem mit, sondern auch die Lösung. In diesem Sinne ist der Ansatz genuin klienten- bzw. personzentriert. Der Personzentrierte Ansatz hilft Patienten/innen¹, indem er sie darin unterstützt, sich selbst dahin zu entwickeln, dass sie gegenwärtige, aktuelle und vor allem auch künftige Probleme eigenständig bewältigen können (Rogers, 1987 b, S. 36). Es ist diese konsequente Entwicklungs- und Ressourcenorientierung, die diesen Ansatz von anderen unterscheidet.

Ob in klientenzentrierten Beratungs- oder Therapiesituationen: Im Mittelpunkt steht immer der Mensch und nicht sein isoliertes Problem. Der Ansatz heißt im englischen person-centered approach (PCA). Das Wort "approach" (Annäherung, Herangehen, Zugang, Weg) verdeutlicht, dass es nicht um spezielle therapeutische oder pädagogische Techniken geht, sondern um Einstellungen und Haltungen gegenüber den Patienten/Klienten. Neuere Forschungsergebnisse bestätigen, dass die Beziehung zwischen Klient und Therapeut den Erfolg von Beratungen und Therapien in einem weitaus größeren Maße bestimmt als spezifische Techniken. Deshalb ist auch die Ausbildung in Gesprächspsychotherapie oder Personzentrierter Beratung aufwändig und beinhaltet intensive Auseinandersetzungen mit der eigenen Person und kontinuierliche Weiterbildungen und Entwicklungen der Therapeuten/innen und Berater/innen selbst (Selbsterfahrung, Eigentherapie, Supervision).

Vertrauen in Entwicklungsprozesse und Streben nach Entfaltung sind somit neben der Selbstbestimmung des Menschen die philosophischen Fundamente des Personzentrierten Ansatzes. Der übergeordnete Begriff dieser Orientierungen ist die Humanistische Psychologie. Sie wird als humanistisch bezeichnet, weil sie das spezifisch Menschliche betont, z.B. Kreativität, Subjektivität und das Streben nach Selbstausdruck. Neben der Humanistischen Psychologie ist der Personzentrierte Ansatz von der Phänomenologie, der Existenzphilosophie und der östlichen Philosophie beeinflusst.

Die Humanistische Psychologie mit dem Personzentrierten Ansatz als stärkstem Vertreter wurde im historischen Rückblick auch als „dritte Kraft" in der Psychotherapie bezeichnet - neben der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie (Kriz, 2001). Ausgangspunkt für das humanistische Menschenbild sind vier Thesen (Bühler & Allen, 1982, S. 7):

• Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die erlebende Person. Damit rückt das Erleben als das primäre Phänomen beim Studium des Menschen in den Mittelpunkt. Sowohl theoretische Erklärungen wie auch sichtbares Verhalten werden im Hinblick auf das Erleben selbst und auf seine Bedeutung für den Menschen als zweitrangig betrachtet.

• Der Akzent liegt auf spezifisch menschlichen Eigenschaften wie der Fähigkeit zu wählen, der Kreativität, der eigenen Wertsetzung und Selbstverwirklichung - im Gegensatz zu einer mechanistischen und reduktionistischen Auffassung des Menschen.

• Die Auswahl der Fragestellungen und der Forschungsmethoden folgt nach Maßgabe der Sinnhaftigkeit - im Gegensatz zur Betonung der Objektivität auf Kosten des Sinnes.

• Ein zentrales Anliegen ist die Aufrechterhaltung von Wert und Würde des Menschen und das Interesse gilt der Entwicklung der jedem Menschen innewohnenden Kräfte und Fähigkeiten. In dieser Sicht nimmt der Mensch in der Entdeckung seines Selbst, in der Beziehung zu anderen Menschen und zu sozialen Gruppen eine zentrale Stellung ein.


Die Theorie der Therapie nach Rogers

In seinem Artikel von 1957 beschrieb Rogers sechs Bedingungen, die aus seiner Sicht gegeben sein müssen, damit positive Veränderungen und Wachstum möglich und wahrscheinlicher werden. Diese Bedingungen wurden im engeren Sinne für den Bereich Psychotherapie entwickelt - später fanden sie analog Eingang in die Personzentrierte Beratung.

• Als erstes muss ein Minimum an Beziehung zwischen Therapeut/in und Patient/in vorhanden sein. Rogers spricht von psychologischem Kontakt und betont damit, dass Veränderungen sich innerhalb von Beziehungen vollziehen. Das Vorliegen eines Kontaktes ist demnach als Voraussetzung oder Vorbedingung anzusehen.

• Der/die Patient/in ist verletzbar oder ängstlich, da er/sie sich - in Rogers Sprache - im Zustand der Inkongruenz befindet. Inkongruenz bedeutet, dass eine aktuelle Erfahrung nicht mit dem Bild übereinstimmt, das eine Person von sich hat. Das Selbstbild oder Selbstkonzept eines Menschen ist nicht deckungsgleich mit seiner aktuellen (organismischen) Erfahrung, also inkongruent. Erfahrung ist hierbei ein sehr weiter Begriff, der alles einschließt, was in einem gegebenen Moment in einem Menschen vor sich geht und spürbar werden kann. Können nicht alle Erfahrungen in das Bild, das die Person von sich hat, integriert werden, entsteht ein Zustand der Spannung. Häufig wird diese Spannung sehr diffus erlebt, ohne dass konkrete Inhalte angegeben werden können. Der Begriff der Inkongruenz und ihrer Überwindung ist zentral für das Verständnis des Personzentrierten Ansatzes.

Die Spannung kann u.a. aufgelöst werden, indem der Mensch sein Selbstkonzept erweitert und damit immer mehr seiner Erfahrungen zulassen kann. Dieser Prozess ist ein steter Entwicklungsprozess, der Selbstexploration genannt wird. Es geht quasi darum, das eigene Selbst zu erforschen und Erfahrungen zu verstehen und zuzulassen. Im Verständnis des Personzentrierten Ansatzes ist dies der Kern psychischen Wachstums. Das Wachstum wird am ehesten dadurch behindert, dass Erfahrungen vorschnell bewertet und damit abgewehrt werden. Am häufigsten passiert das durch eine Erziehung, die dem Menschen einen äußeren Maßstab anlegt und ihn damit seinem eigenen Erleben entfremdet. Da wir aber sozialen Bewertungen und Regeln unterliegen, sind nie alle Teile unserer Erfahrung in unserem
Selbstkonzept abgebildet.

Rogers spricht daher vom Ideal einer fully functioning person, also einer Person, die keinerlei Verzerrung ihrer eigenen Erfahrung benötigt und daher reife und den anderen Menschen fördernde Beziehungen eingehen kann. Eine solche Entwicklungsrichtung wird nach Rogers folgendermaßen beschrieben:
„Weg von den Fassaden, Weg vom 'Eigentlich-sollte-ich', Weg vom Erfüllen kultureller Erwartungen, Weg davon, anderen zu gefallen, hin zu einer Entwicklung zur Selbstbestimmung, zum Prozess-Sein, zur Komplexität; zur Erfahrungsoffenheit, zum Akzeptieren der anderen und zum Selbstvertrauen" (Rogers, 1973, S. 167-176).

• Der/die Therapeut/in ist innerhalb dieser Beziehung kongruent, echt, eine integrierte Person. Er/sie versucht, in jedem Moment der Beziehung zum/zur Patient/in Kongruenz, d.h. Übereinstimmung herzustellen zwischen dem, was in ihm/ihr vor sich geht, was er/sie davon spürt und was er/sie ausdrückt. D.h. der/die Therapeut/in versucht, nicht mehr und nicht weniger zu sein, als das, was er/sie tatsächlich zu diesem Zeitpunkt ist. Das ist der Kern einer tatsächlichen Begegnung, person to person, wie Rogers sie beschreibt. Diese Bedingung wurde auch als Echtheit des/der Therapeuten/in oder als Authentizität bezeichnet. Sie geht zurück auf das ursprüngliche Anliegen, dem/der Klienten/in ohne Fassade und Expertenattitüde zu begegnen.

• Der/die Therapeut/in versucht, Patienten/innen bedingungslos wertschätzend zu begegnen. D.h. die Zuwendung von Therapeuten/innen ist an keine Bedingungen geknüpft, sie ist bedingungslos. Therapeuten/innen stehen nicht einigen Gefühlen der Patienten/innen bejahend und anderen ablehnend gegenüber. Ihre Anteilnahme und Zuwendung ist frei von Beurteilungen und Bewertungen der Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen der Patienten/innen. Das heißt nicht, dass Therapeuten/innen alle Verhaltensweisen der Klienten/innen billigen, sondern nur, dass die Zuwendung zum/zur Patienten/in nicht von dessen Verhaltensweisen, Gedanken usw. abhängt. Diese Haltung wurde auch als Wärme, Interesse, Zugewandtheit, Akzeptanz oder bedingungslose positive Wertschätzung bezeichnet.

Die Erfahrung, dass die eigenen Gefühle und Gedanken nicht negativ bewertet werden und nicht mit Ablehnung verbunden sind, macht es Individuen möglich, sich selbst gegenüber auch weniger bewertend zu sein und immer mehr Erfahrungen als Teile ihrer Person zu akzeptieren: „Während sie diese verborgenen und 'schrecklichen' Aspekte ihres Selbst bloßlegen, spüren sie, dass sich an der akzeptierenden Haltung ihres Gegenübers nichts ändert. Und nach und nach beginnen die Patienten diese akzeptierenden Einstellungen sich selbst gegenüber anzunehmen und sich so, wie sie sind, zu akzeptieren, womit sie Voraussetzungen für ihre Weiterentwicklungen schaffen." (nach Rogers, 1977, S. 33)

• Die fünfte Bedingung ist empathisches, d.h. einfühlendes Verstehen. „Die als empathisch-einfühlend bezeichnete Möglichkeit, mit einem anderen Menschen zusammen zu sein, hat verschiedene Aspekte. Es bedeutet, die persönliche Wahrnehmungswelt eines anderen zu betreten und völlig in ihr zu Hause zu sein. Es umfasst jeden Augenblick Empfindsamkeit für die wechselnden Gefühlsbedeutungen, die in diesem anderen Menschen strömen, für Angst oder Wut, Zärtlichkeit oder Verwirrung oder was auch immer er oder sie gerade an Erlebnis erfährt. Es bedeutet, zeitweise in seinem/ihrem Leben zu leben, sich darin vorsichtig und ohne Urteile zu fällen zu bewegen und die Gefühlsbedeutungen, deren er/sie sich kaum bewusst ist, zu erfühlen - dabei nicht zu versuchen, Gefühle aufzudecken, deren sich der andere völlig unbewusst ist, denn das wäre bedrohlich" (Rogers, 1976, S. 36-37). Der/die Therapeut/in ist "für den anderen in seiner/ihrer inneren Welt ein vertrauensvoller Gefährte". Diese Einfühlung bzw. Empathie beschreibt Rogers als „eine komplexe, stark beanspruchende, starke und doch subtile und sanfte Art des Zusammenseins". Sie setzt gleichzeitig eine große Sicherheit und Stabilität des/der Therapeuten/in voraus.

• Schließlich verweist die letzte der von Rogers beschriebenen Bedingungen darauf, dass der/die Patient/in Echtheit, Wertschätzung und empathische Verstehen bis zu einem gewissen Grad wahrnehmen kann. Fragt man Therapeuten, ob sie sich als echt, wertschätzend und empathisch erlebt haben, so bestimmen deren Einschätzungen weit weniger den Therapieerfolg als die tatsächliche Wahrnehmung des Klienten. Erst, wenn der/die Klient/in den/die Therapeuten/in und die therapeutische Beziehung als echt, wertschätzend und empathisch erlebt, sind positive Veränderungen möglich.

Diese sechs Bedingungen sind als ein Geflecht sich beeinflussender Faktoren zu sehen, die dann, wenn sie vollständig vorliegen, einen konstruktiven Veränderungsprozess unterstützen. Was Rogers Mitte des letzten Jahrhunderts noch in Form von Hypothesen formuliert hatte, konnte in den letzten 50 Jahren durch ausgiebige Forschung und Praxis bestätigt werden.

Die oben erläuterten Zusammenhänge aus der Psychotherapie-Forschung und -Praxis sind ohne Einschränkungen auch Grundlagen erfolgreicher Personzentrierter Beratungen. Personzentrierte Beratung wird in sehr unterschiedlichen Kontexten angewendet: in Sucht- und Drogeneinrichtungen, Erziehungsberatungsstellen, Jugend- und Familieneinrichtungen, in Berufsberatungsstellen, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, in der Gesundheitsberatung, Schuldnerberatung, Heimerziehung, in Organisationen und Unternehmen.

Unterschiede zwischen Personzentrierter Psychotherapie und Beratung gibt es in erster Linie in der Zielsetzung: Beratung bezieht sich auf konkrete Veränderungssituationen, auf Lösungen von konkreten Problemen. Auch die Methodik der Personzentrierten Beratung weicht von der Psychotherapie ab. Da es im obigen Text jedoch um die Grundlagen des Personzentrieren Ansatzes geht, wird hier auf eine ausdrückliche Differenzierung zwischen Psychotherapie und Beratung verzichtet.

¹ Im Bereich Heilkunde sprechen wir heute von Patienten/innen, im Bereich Beratung von Klienten/innen.

Weiterführende Literatur

Biermann-Ratjen, E. M , Eckert, J. & Schwartz, H. (2003). Gesprächspsychotherapie. Verändern durch Verstehen. 10. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.

Rogers, C. R. (1987). Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Köln: GwG-Verlag.

Sander, Klaus (1999). Personzentrierte Beratung - Ein Arbeitsbuch für Ausbildung und Praxis, Köln, GwG-Verlag.

Quelle:
"Der Personenzentrierte Ansatz: Geschichte-Theorie-Praxis"
GwG - Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V., Fachverband für Psychotherapie und Beratung.